Blogbeitrag

Verschärfungen im Disziplinarrecht zum 1. April 2024

Im Einzelnen

 

Die beamtenrechtlichen Beendigungsgründe werden durch die Aufnahme des Straftatbestands der Volksverhetzung in das Bundesbeamtengesetz (§ 41 Verlust der Beamtenrechte) für Bundesbeamte und in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG für Landes- und Kommunalbeamte erweitert. Eine rechtskräftige Verurteilung wegen Volksverhetzung führt nicht erst wie bisher bei einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, sondern bereits bei einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zum automatischen Verlust der Beamtenrechte. Dies gilt für Bundes- und Landesbeamte.

Durch die Änderung des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) wird das Verfahren der Disziplinarklage für Bundesbeamte durch umfassende Disziplinarbefugnisse der Disziplinarbehörden abgelöst. Statt Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht erheben zu müssen, sprechen die Disziplinarbehörden künftig sämtliche Disziplinarmaßnahmen, einschließlich der Zurückstufung, der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der Aberkennung des Ruhegehalts, durch Disziplinarverfügung aus.

Durch Verwaltungsakt aus dem Dienst entfernte Beamtinnen und Beamten müssen somit selbst aktiv gegen die Disziplinarverfügung vorgehen (Widerspruch/Klage).

Dies ist eine massive Veränderung des Verfahrensrechts zu Ungunsten der vom Vorwurf betroffenen Beamten. Auch die Änderungen im materiellen Recht sind erheblich.

Vorbild für den Gesetzentwurf war das Landesdisziplinargesetz von Baden-Württemberg. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 2020 (14.1.2020, 2 BvR 2055/16) die 2008 eingeführte Praxis, indem es feststellte: „ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch erfolgen darf besteht nicht.“ Die Entscheidung erging mit 7 zu 1 Stimmen. Hier im Anschluss finden Sie im Volltext die abweichende Meinung des Richters am Bundesverfassungsgericht Huber. Seine nach unserer Auffassung zutreffenden Argumente sind:

„Die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums in Art. 33 Abs. 5 GG gebietet (es) jedoch, dass im Disziplinarverfahren eine Entfernung aus dem Dienst nur aufgrund eines förmlichen, Unparteilichkeit und Fairness sichernden Verfahrens angeordnet werden darf. Diesen Anforderungen wird § 38 Abs. 1 LDG BW in seiner konkreten Ausgestaltung nicht gerecht.“

Und dort (II.): „Der präventive Richtervorbehalt gewährleistet Beamtinnen und Beamten nicht nur ein Höchstmaß an effektivem Rechtsschutz (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12. März 2019 - 2 BvR 675/14 -, Rn. 53 m.w.N.). Er sichert zugleich Fairness und Waffengleichheit zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn und erschwert eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Disziplinarrechts durch den Vorgesetzten, etwa seine sachfremde Instrumentalisierung durch persönliche Animositäten oder parteipolitische Einflüsse.“

Weiter:

„Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, hat das Lebenszeitprinzip - im Zusammenspiel mit dem die amtsangemessene Besoldung sichernden Alimentationsprinzip - die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten“.

 

Der Gedanke, der hier u.E. anklingt ist: Wird der Gewährleistungsbereich von Art. 33 Abs. 5 GG ausgehöhlt, so ist der Erhalt der rechtsstaatlichen Verwaltung in Gefahr.

Die hier gegenständliche gesetzliche Änderung ist nach unserer Auffassung geeignet die Wichtung zu verschieben zwischen dem Leitbild einer vorrangig dem Grundgesetz verpflichteten Beamtenschaft und einer ob der Volatilität der jeweiligen parteipolitischen Vorgaben verunsicherten, ja hörigen, und deshalb ihrer stabilisierenden Rolle im Verwaltungsapparat beraubten Beamtenschaft.

 

Nach Auffassung der Bundesregierung soll durch eine rasche und effektive Ahndung von Dienstvergehen das Ansehen des öffentlichen Dienstes und das Vertrauen in die Integrität der Verwaltung gestärkt werden. Im geltenden Disziplinarklagesystem dauerten Verfahren im Durchschnitt knapp vier Jahre. Durch die Vorverlagerung des Ausspruchs auch der oben benannten statusrelevanten Disziplinarmaßnahmen auf die behördliche Ebene sei ein schnellerer Abschluss des Verfahrens möglich.

 

Dies ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. Der dbb hatte während des Gesetzgebungsverfahrens bereits klar gemacht, dass eine Beschleunigung nicht zu erwarten ist. Das – langwierige - Verfahren selbst wird dadurch nicht verkürzt. Das Argument ist somit vorgeschoben. Sinnvoll und richtig wäre es gewesen, das Gerichtsverfahren zu beschleunigen.

Die CDU/CSU kritisierte unter anderem, dass das richtige Ziel, Extremisten möglichst schnell und rechtssicher aus dem Staatsdienst zu entfernen, nicht jedes Mittel heilige. Nach dem Regierungsmodell läge im Bund die Entscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht bei einer spezialisierten Dienststelle. Es fehle an staatlichen Mechanismen für Rehabilitationsmaßnahmen im Falle einer falschen Beschuldigung.

Bedenkt man nun noch, dass sich auch das Rechtsmittelrecht änderte, dass nämlich die Berufung anders als noch vor ein paar Jahren nunmehr gesondert „zugelassen“ werden muss (vom Berufungsgericht), der Beschwerte also nicht jedenfalls auf eine zweite Instanz hoffen kann, so wird deutlich, wie gravierend diese Änderungen auf Gesetzesebene sind.

Wir halten diese Entwicklung für besorgniserregend.

 

In disziplinarrechtlichen Fallgestaltungen geben wir gerne Beratung und vertreten Sie gegenüber Behörden.

 

Dr. Susen Wahl                                                 Michael Wahl

 

 

 

 

Abweichende Meinung des Richters Huber zum Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 2055/16 –

Der Annahme des Senats, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet, weil es unter dem Blickwinkel von Art. 33 Abs. 5 GG gegen § 38 Abs. 1 LDG BW verfassungsrechtlich nichts zu erinnern gäbe, vermag ich nicht zu folgen. Zwar kann auch nach meiner Auffassung ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach ein Beamter nur durch Richterspruch aus dem Dienst entfernt werden darf, nicht nachgewiesen werden (I.). Die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums in Art. 33 Abs. 5 GG gebietet jedoch, dass im Disziplinarverfahren eine Entfernung aus dem Dienst nur aufgrund eines förmlichen, Unparteilichkeit und Fairness sichernden Verfahrens angeordnet werden darf (II.). Diesen Anforderungen wird § 38 Abs. 1 LDG BW in seiner konkreten Ausgestaltung nicht gerecht (III.).

I.

Auch wenn das überkommene Verständnis der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in der Rechtsprechung des Senats der Modifikation bedarf (1.), wirkt sich dies hier doch nicht aus, weil die Senatsmehrheit die Existenz eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums, wonach die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst nur durch Richterspruch erfolgen darf, im Ergebnis zutreffend verneint hat (2.).

  1. Art. 33 Abs. 5 GG enthält eine institutionelle Garantie (vgl. BVerfGE 106, 225 <231 f.>; 117, 330 <344>; 117, 372 <379>; 119, 247 <260>; 139, 64 <111 Rn. 92>; 141, 56 <69 Rn. 33>; 145, 249 <270 Rn. 45>; 148, 296 <345 Rn. 118>; 149, 1 <15 f. Rn. 33>; 150, 169 <177 f. Rn. 24>), die das Berufsbeamtentum in seiner Funktionsfähigkeit im Interesse der Allgemeinheit erhalten will. Er will gewährleisten, dass Beamtinnen und Beamte die ihnen zugewiesene Aufgabe, im politischen Kräftespiel und bei wechselnden Mehrheitsverhältnissen eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern (vgl. BVerfGE 8, 1 <14, 16>; 11, 203 <216 f.>; 21, 329 <345>; 64, 367 <379>; 119, 247 <264>; 139, 64 <121 Rn. 119>; 140, 240 <291 Rn. 104>; 141, 56 <71 Rn. 38>; 145, 249 <270 Rn. 45>; 148, 296 <347 Rn. 122>), aufgrund der ihnen zukommenden persönlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch tatsächlich erfüllen. Art. 33 Abs. 5 GG sichert die Bindung der Verwaltung an die Verfassung sowie an Gesetz und Recht ab und dient damit der Effektivierung sowohl des Demokratie- (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) als auch des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Berufsbeamtentum erscheint damit als tragendes Element des Rechtsstaates (vgl. BVerfGE 121, 205 <221>; 141, 56 <71 Rn. 38>; 149, 1 <17 f. Rn. 35>; Rn. 64 des Beschlusses; stRspr) wie auch der Demokratie.
  2. a) Als institutionelle Garantie will Art. 33 Abs. 5 GG abrupte Änderungen und Brüche in der Entwicklung des Berufsbeamtentums verhindern, ohne dessen Weiterentwicklung und Anpassung an gesellschaftliche, politische oder ökonomische Veränderungen grundsätzlich auszuschließen. Insoweit erweist er sich nicht nur gegenüber Interventionen des Dienstherrn im Einzelfall als wehrfähig, sondern auch mit Blick auf gesetzliche Regelungen. Das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit davon, dass aus der institutionellen Garantie eine Beachtenspflicht folge, die dem einfachen Gesetzgeber den Weg zu einer tiefgreifenden strukturellen Veränderung versperrt (vgl. BVerfGE 117, 372 <380>).

Der institutionellen Garantie wird daher nur ein Verständnis von Art. 33 Abs. 5 GG gerecht, das einen gewissen Schutz vor den Unwägbarkeiten des politischen Kräftespiels bietet und das erforderliche Maß an Stabilität gewährleistet (vgl. BVerfGE 121, 205 <219 f.>), ohne eine behutsame Weiterentwicklung zu verhindern. Das hat auch der verfassungsändernde Gesetzgeber im Kontext der Föderalismusreform I durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) klargestellt, wonach das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums "fortzuentwickeln" ist. Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistet daher einen Bestandsschutz der das Berufsbeamtentum prägenden und für seine Funktionserfüllung notwendigen Grundsätze sowie eine Sicherung gegen erhebliche, nicht durch hinreichende Sachgründe gerechtfertigte Änderungen des Beamtenrechts, die das Berufsbeamtentum zum Spielball der politischen Verhältnisse machen können. Dieser Gewährleistungsgehalt kann und muss sich gegebenenfalls über die Zeit hinweg wandeln.

Die einfach-gesetzliche Ausgestaltung des Berufsbeamtentums durch das Beamtenrecht genießt einen relativen Normbestandsschutz (vgl. BVerfGE 139, 64 <126 Rn. 128>; 140, 240 <295 Rn. 111>; 145, 1 <13 Rn. 28>; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 125 ff.). Eingriffe in den effektiven Gewährleistungsgehalt von Art. 33 Abs. 5 GG wie auch Fortentwicklungen müssen daher durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die schwerer wiegen als jene, die für die Bewahrung des Status quo streiten. Daraus folgt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Überkommenen und eine entsprechende Begründungslast für den veränderungswilligen Gesetzgeber.

Aus der institutionellen Garantie des Berufsbeamtentums ergibt sich zudem ein Gebot der Binnenkohärenz und der Folgerichtigkeit (vgl. P. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 423 <August 2019>). Als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes und in seiner objektiven Dimension im Rechtsstaatsprinzip wurzelnd verlangt dieses Gebot, dass sich der Gesetzgeber dort, wo ihm Einschätzungsspielräume zukommen und er sich unter Ausnutzung dieser Spielräume auf ein bestimmtes Regelungskonzept festgelegt hat, an den von ihm getroffenen Grundentscheidungen festhalten lassen muss (vgl. BVerfGE 66, 214 <223 f.>; 68, 143 <152 f.>; 82, 60 <88>; 99, 246 <260>; 105, 73 <126>; 107, 186 <197>; 112, 268 <280 f.>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 120, 82 <103 f.>; 120, 125 <155>; 121, 108 <119 f.>; 121, 317 <362 f.>; 125, 175 <225 f.>; 126, 400 <417>; 139, 285 <310>; 141, 1 <39 f. Rn. 95>; 145, 106 <144 Rn. 104>).

  1. b) Inhaltlicher Bezugspunkt von Art. 33 Abs. 5 GG sind die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Sie bilden den instrumentellen Kern der institutionellen Garantie, die, über die hergebrachten Grundsätze hinaus, alle Regelungen umfasst, die das Beamtenrecht in seiner konkreten Gestalt so prägen, dass ihre Beseitigung das Berufsbeamtentum substantiell verändern würde.
  2. aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bilden die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG einen Kernbestand an Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind (vgl. BVerfGE 46, 97 <117>; 58, 68 <76 f.>; 83, 89 <98>; 106, 225 <232>; 107, 218 <237>; 117, 330 <344 f.>; 117, 372 <379>; 121, 205 <219>; 141, 56 <69 Rn. 33>; 148, 296 <345 Rn. 118>; 149, 1 <15 f. Rn. 33>; 149, 382 <390 Rn. 14>; 150, 169 <178 Rn. 24>).

In der Tat wollte der Verfassungsgeber der Jahre 1948/49 auch im Bereich des Beamtenrechts an die Traditionen des liberalen und bürgerlichen Rechtsstaats anknüpfen, wie er sich im 19. Jahrhundert allmählich herausgebildet hatte und in der Weimarer Verfassung 1919 schließlich verwirklicht worden war (vgl. BVerfGE 5, 85 <197>; Summer, Dokumente zur Geschichte des Beamtenrechts, 1986, S. 10 f.; Jachmann-Michel/Kaiser, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 33 Rn. 39). Dies hat er mit dem Begriff der hergebrachten Grundsätze zum Ausdruck gebracht und den die institutionelle Garantie ausgestaltenden Gesetzgeber damit zunächst an den vorkonstitutionellen Kernbestand des Berufsbeamtentums gebunden. Das erklärt und rechtfertigt zugleich, warum das Bundesverfassungsgericht in seinen frühen Entscheidungen zumindest auf die Zeit der Weimarer Republik abgestellt hat und auch abstellen musste (vgl. BVerfGE 8, 322 <343>).

  1. bb) Es bedeutet jedoch nicht, dass der Verfassungsgeber jenes historisch überlieferte Profil des Berufsbeamtentums zeitlich unbegrenzt festschreiben und "versteinern" wollte. Mehr als 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die Staat und Gesellschaft seitdem durchlaufen haben - pars pro toto genannt seien etwa die weite Öffnung der Staatlichkeit für die europäische Integration (vgl. BVerfGE 89, 155 ff.; 123, 267 ff.; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 119 ff., 140 ff.), die Privatisierung grundlegender Verwaltungsaufgaben (vgl. BVerfGE 147, 50 <58 ff. Rn. 2 ff.; 152 ff. Rn. 265 ff.>) oder die fundamentalen Veränderungen von Geschlechterrollen und Familienstrukturen (vgl. BVerfGE 119, 247 <248 ff.>; 121, 241 <255 ff.>) -, kann die Frage, welcher Richtlinien und Prinzipien, das heißt instrumentellen Sicherungen es bedarf, um den Zweck der institutionellen Garantie von Art. 33 Abs. 5 GG zu verwirklichen, nicht mehr allein danach beurteilt werden, ob diese auch schon während eines traditionsbildenden Zeitraums, der jedenfalls deutlich vor 1933 beginnt, erforderlich waren. Die ausnahmslose Anknüpfung hergebrachter Grundsätze an diesen Traditionsbestand versperrt die Möglichkeit, die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums in Ansehung sich wandelnder sozialer, ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln, damit diese auch unter gewandelten Bedingungen ihre Funktion erfüllen kann.

Die Fixierung auf den vorkonstitutionellen Traditionsbestand und die Weigerung, die Verfassungsentwicklung unter dem Grundgesetz in die Betrachtung einzubeziehen, die mittlerweile länger währt als die gesamte Spanne zwischen der Gründung des deutschen Nationalstaats (1867/71) und dem Ende der Weimarer Republik (1933), ist auch methodisch fragwürdig, weil die Verfassung mit ihren Wertungen grundsätzlich als objektive Ordnung begriffen wird, die ihre Wirkungen im Kontext des jeweiligen gesellschaftlichen Lebens und der konkreten geschichtlichen Situation erfüllen muss (vgl. grundlegend BVerfGE 7, 198 <205 f.>; 105, 313 <342 ff.>; 124, 199 <221 ff.>; 126, 400 <419 ff.>; 131, 239 <261 ff.>; 132, 179 <188 ff.>; 133, 377 <413 ff.>). Sie ist - was in Deutschland praktisch unbestritten ist (vgl. Hesse, in: FS Scheuner, 1973, S. 123 f.; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 222 ff.; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Aufl. 2018, Rn. 14; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rn. 36 f. <August 2019>; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn. 33 <August 2019>; kritisch in Bezug auf die Wehrverfassung Müller-Franken, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 87a Rn. 3) - ein "living instrument", für dessen Verständnis es nur nachrangig auf die historische Auslegung ankommt (vgl. schon BVerfGE 1, 299 <312>).

Zwar betont auch der Senat regelmäßig, dass Art. 33 Abs. 5 GG nicht zu einer "Versteinerung" des geltenden Beamtenrechts führen dürfe (vgl. BVerfGE 70, 69 <79>; 76, 256 <347 f.>; 110, 353 <364>; 145, 304 <332 Rn. 86>); er zieht daraus jedoch nicht die notwendigen Konsequenzen. Zwar sieht er in der Pflicht zur (bloßen) "Berücksichtigung" der hergebrachten Grundsätze eine hinreichende Entwicklungsoffenheit angelegt, die den Gesetzgeber in die Lage versetzen soll, die Ausgestaltung des Dienstrechts den jeweiligen Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und das Beamtenrecht damit "in die Zeit" zu stellen (vgl. BVerfGE 119, 247 <262>). Das verschleiert jedoch die tatsächliche Bindungskraft und Bindungswirkung der hergebrachten Grundsätze. Hinzu kommt, dass die Anknüpfung an den traditionsbildenden Zeitraum unter der Weimarer Reichsverfassung in einem gewissen Widerspruch zu der gleichzeitig betonten Entwicklungsoffenheit steht. Einerseits gibt es Grundsätze, die erhalten bleiben müssen, um den Charakter der Institution zu wahren, andererseits sollen Abweichungen durch hinreichende Sachgründe gerechtfertigt werden können.

  1. cc) Selbst in der Rechtsprechung finden sich auch vereinzelte Anhaltspunkte für ein offeneres Begriffsverständnis. Das gilt etwa für die abweichende Meinung der Richterin Osterloh und des Richters Gerhardt zur Dreijahresfrist in der Beamtenversorgung (vgl. BVerfGE 117, 372 <392 ff.>) oder für das Sondervotum des Richters Gerhardt zur Teilzeitbeschäftigung (vgl. BVerfGE 119, 247 <279, insbesondere 289 ff.>). Auch die jüngere Senatsrechtsprechung lässt immerhin Flexibilisierungsansätze erkennen, wenn etwa im Beschluss zu den Wartefristen bei Übertragung eines höheren Statusamts eine Bezugnahme auf Weimar gänzlich unterbleibt (vgl. BVerfGE 145, 1 <8 Rn. 16>) oder wenn in der Entscheidung zur Soldatenversorgung zumindest angedeutet wird, dass neben den traditionellen hergebrachten Grundsätzen auch Regelungen für das verfassungsrechtliche Fundament des Berufsbeamtentums bedeutsam werden könnten, die erst nach 1933 beziehungsweise 1949 entstanden sind (BVerfGE 145, 249 <276 f. Rn. 55 f.>):

Auch wenn die Zeit seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht Bestandteil des traditionsbildenden Zeitraums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG ist, weil die Vorschrift an die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens schon "hergebrachten" Grundsätze anknüpft, so können doch im Laufe der Zeit auch solche beamtenrechtlichen Regelungen dem Schutz der institutionellen Garantie von Art. 33 Abs. 5 GG, beispielsweise in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, Art. 9 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG, unterfallen, deren Traditionslinien erst nach 1949 begonnen haben und die für das Berufsbeamtentum über einen längeren Zeitraum hinweg prägend geworden sind. Sie bilden dann zusammen mit Art. 33 Abs. 5 GG das verfassungsrechtliche Fundament für das Institut des Berufsbeamtentums.

  1. dd) Im Schrifttum wird dagegen schon seit langem eine Abkehr von der starren Fixierung mindestens auf die Weimarer Zeit und die Einbeziehung späterer prägender Entwicklungen gefordert (vgl. Thieme, in: Forsthoff u.a. <Hrsg.>, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5, 1973, S. 303 <326 f.>; Mayer, in: Forsthoff u.a. <Hrsg.>, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5, 1973, S. 557 <602 f.>; ders., Möglichkeiten und Grenzen einer Neugestaltung des Laufbahnsystems für den öffentlichen Dienst im Rahmen des Grundgesetzes, in: FS Ule, 1977, S. 344; ders., Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" - eine angemessene Verfassungsantwort auf die gesellschaftliche Herausforderung?, in: Carstens u.a. <Hrsg.>, Beamtenstatus - Ärgernis oder Verpflichtung?, 1978, S. 93 <99>; Schuppert, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 33 Rn. 34 ff. <August 2002>; Merten, in: HGRe, Bd. V, 2013, § 114 Rn. 74; vgl. auch Summer, Dokumente zur Geschichte des Beamtenrechts, 1986, S. 9 f.; Kunig, in: v. Münch/ders., GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 61). Teilweise wird zumindest allgemein auf die Entwicklungsoffenheit hingewiesen (vgl. Badura, ZBR 1996, S. 321 <325>; Battis, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 33 Rn. 68).
  2. c) Richtig verstanden sind hergebrachte Grundsätze im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG jene grundlegenden Richtlinien oder Prinzipien, derer es bedarf, damit die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums die ihr von der Verfassung zugedachte Funktion erfüllen kann. Auch wenn die Vorstellung dessen, was die Verfassung vom Berufsbeamtentum erwartet, historisch geprägt ist, kann es für die Frage, was zur Erfüllung dieses Zwecks in der Gegenwart erforderlich ist, jedoch nicht allein auf einen bestimmten historischen Zeitpunkt oder Stichtag ankommen. Maßgebend ist vielmehr, welcher Richtlinien und Prinzipien es zu einem konkreten Zeitpunkt bedarf, um den Zweck des Art. 33 Abs. 5 GG zu erfüllen, die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen für die Demokratie (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und den Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG) personalwirtschaftlich zu umhegen (vgl. Badura, Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, Forschungsprojekt für das Bundesministerium des Innern, 1995, S. 5). Ganz in diesem Sinne hat der Senat schon früh ausgesprochen, dass die Anerkennung eines hergebrachten Grundsatzes unter dem Vorbehalt steht, dass dieser mit den Funktionen vereinbar ist, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibt (vgl. BVerfGE 15, 167 <195>). Warum das nur in negativer Hinsicht mit Blick auf die Vergangenheit gelten sollte, erschließt sich nicht.

Mit dem Wandel der sozialen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen können sich auch die Anforderungen an den Funktionsauftrag des Berufsbeamtentums ändern und die Gefahren, denen seine Einlösung ausgesetzt ist. So bringt es etwa die Öffnung der Staatlichkeit Deutschlands und seine Beteiligung an der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 GG) und anderen zwischenstaatlichen Einrichtungen (Art. 24 Abs. 1 GG) sowie Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) mit sich, dass Beamte, Richter und Soldaten ihren Dienst im Auftrage des Dienstherrn (zeitweise) auch in derartigen Einrichtungen und im Ausland leisten müssen (vgl. insoweit die Konstellation in BVerfGE 145, 249 ff.). Im Anwendungsbereich des Unionsrechts müssen sich Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, auf die sich auch Beamte berufen können, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat bei einer internationalen Organisation arbeiten (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2016, Adrien u.a., C-466/15, EU:C:2016:749, Rn. 24), zudem an Art. 45 AEUV messen lassen. Hemmnisse und Ungleichbehandlungen - dazu gehört auch der Verlust von Leistungen der sozialen Sicherheit (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 28) - sind nur dann geeignet, die dadurch verfolgten Ziele zu erreichen, wenn diese tatsächlich "in kohärenter und systematischer Weise" verfolgt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2016, Pöpperl/Land Nordrhein-Westfalen, C-187/15, EU:C:2016:550, Rn. 33 ff. mit Verweis auf Urteil vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, EU:C:2009:141, Rn. 55 und Urteil vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u.a., C-171/07 und C-172/07, EU:C:2009:316, Rn. 42). Dass sich unter diesen Bedingungen neue und andere Anforderungen an das Berufsbeamtentum ergeben dürften und damit auch andere oder modifizierte Leitlinien und Prinzipien, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch die Privatisierung von Verwaltungsaufgaben und Infrastrukturunternehmen hat die Substanz der Staatlichkeit verändert und neue Legitimations-, Steuerungs- und Loyalitätsprobleme geschaffen (vgl. die Konstellation in BVerfGE 147, 50 ff.). Der gesellschaftliche Wandel und die Teilzeitbeschäftigung (vgl. die Konstellation in BVerfGE 119, 247 ff.) sind ein weiteres Beispiel dafür, dass die personalwirtschaftliche Absicherung von Demokratie und Rechtsstaat im Jahre 2020 neuer, anderer oder modifizierter Leitlinien und Prinzipien bedarf als früher. Schließlich sind Beamte, Richter und Soldaten unter dem Grundgesetz - nicht zuletzt wegen des Scheiterns der Weimarer Verfassung - auf die Wehrhaftigkeit des demokratischen Rechtsstaats verpflichtet. Sie haben für ihn einzutreten und gegen rechtswidrige Weisungen zu remonstrieren (vgl. Jachmann-Michel/Kaiser, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 33 Rn. 43). Dass ausgerechnet dieser Grundsatz, der einen deutlichen Bezug zu der in Art. 79 Abs. 3 GG besonders geschützten Verfassungsidentität des Grundgesetzes aufweist, der institutionellen Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG nicht unterfallen und daher weitgehend zur Disposition des Gesetzgebers stehen sollte, überzeugt nicht.

Vor diesem Hintergrund konnten und können sich auch unter der Geltung des Grundgesetzes "hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums" entwickeln, wenn sie Leitlinien oder Prinzipien darstellen, die notwendig sind, um den Zweck von Art. 33 Abs. 5 GG - Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip personalwirtschaftlich zu umhegen - auch unter veränderten politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen zu erfüllen.

  1. Im vorliegenden Fall hat die Senatsmehrheit die Existenz eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums, wonach die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst nur durch Richterspruch erfolgen darf - entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Summer, Dokumente zur Geschichte des Beamtenrechts, 1986, S. 37; Weiß, in: Fürst, GKÖD, Bd. 2, M § 33 Rn. 115a f. <Lfg. 6/15>, § 45 Rn. 9, 40 ff. <Lfg. 2/16>; Baßlsperger, in: BayBeamtR, § 1 BeamtStG <August 2016>) - jedoch im Ergebnis zu Recht verneint. Bei dem Erfordernis, dass eine Entfernung aus dem Dienst nur durch Richterspruch zu erfolgen hat, handelt es sich nicht um eine Leitlinie oder ein Prinzip von solchem Gewicht, dass das Berufsbeamtentum seine Demokratie und Rechtsstaat dienende Funktion ohne dieses nicht mehr erfüllen könnte. In der Sache stellt die Regelung vielmehr bloß eine besondere Absicherung des Lebenszeitprinzips dar, das als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums anerkannt ist (vgl. BVerfGE 9, 268 <286>; 44, 249 <265>; 70, 251 <266>; 71, 255 <268>; 121, 205 <220>; 141, 56 <71 Rn. 38>). Diese kann etwa durch andere funktional äquivalente organisatorische und prozedurale Vorkehrungen in einem förmlichen Verwaltungsverfahren ersetzt werden (vgl. BVerfGE 56, 298 <319 ff.>; 76, 107 <122>; 86, 90 <107 f.>; 107, 1 <24 f.>; 137, 108 <156 Rn. 112>; 138, 1 <22 Rn. 60>) und stellt im Übrigen auch keine (neue) Antwort auf gewandelte Bedingungen der Staatlichkeit dar. Die Regelungen, die eine Entfernung aus dem Dienst an einen präventiven Richtervorbehalt binden, reagieren vielmehr auf Gefährdungen des Lebenszeitprinzips, die es von jeher gab. Insofern spricht die Senatsmehrheit, wenn auch wohl mit Blick auf die institutionelle Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG und nicht im Hinblick auf die Verneinung eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums, im Ergebnis zu Recht davon, dass es den Regelungen, wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch erfolgen kann, an der erforderlichen Substanzialität fehle (vgl. Rn. 58 f. des Beschlusses).

II.

Die praktisch ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts bei der Entfernung aus dem Dienst greift allerdings unverhältnismäßig in den effektiven Gewährleistungsbereich der institutionellen Garantie des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG ein. Dieser Eingriff wird nicht durch funktional äquivalente, wenn auch unter Umständen schwächere Vorkehrungen kompensiert, wie sie etwa ein förmliches, Unparteilichkeit und Fairness sicherndes Verwaltungsverfahrens darstellen würde. Die bloße Verweisung auf den nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz genügt insoweit nicht.

  1. Seit 1932, jedenfalls seit Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zur Disziplinarrechtsreform in Baden-Württemberg im Jahre 2008 - mithin für einen Zeitraum von fast 60 Jahren - war die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene allein durch Richterspruch möglich (vgl. Rn. 2 des Beschlusses). Das gilt - mit Ausnahme der hier in Rede stehenden baden-württembergischen Regelung - bis heute. Ein Beamter kann de lege lata grundsätzlich nur durch Erhebung der Disziplinarklage aus dem Dienst entfernt werden (vgl. § 34 Abs. 1 BDG, § 34 Abs. 1 DiszG BE, § 35 Abs. 1 LDG BB, Art. 35 Abs. 1 Satz 2 BayDG, § 34 BremDG, § 38 Abs. 1 HDG, § 34 Abs. 1 HmbDG, § 36 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V, § 35 Abs. 1 LDG NRW, § 40 Abs. 1 LDG RP, § 34 Abs. 1 LDG SH, § 34 Abs. 1 SDG, § 34 Abs. 1 SächsDG, § 34 Abs. 1 DG LSA, § 34 Abs. 1 NDiszG, § 41 Satz 1 ThürDG).

Der präventive Richtervorbehalt gewährleistet Beamtinnen und Beamten nicht nur ein Höchstmaß an effektivem Rechtsschutz (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12. März 2019 - 2 BvR 675/14 -, Rn. 53 m.w.N.). Er sichert zugleich Fairness und Waffengleichheit zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn und erschwert eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Disziplinarrechts durch den Vorgesetzten, etwa seine sachfremde Instrumentalisierung durch persönliche Animositäten oder parteipolitische Einflüsse.

Mit der einheitlichen Regelung durch alle zuständigen Gesetzgeber und seine jahrzehntelange Geltung ist der präventive Richtervorbehalt bei Entfernung eines Beamten aus dem Dienst in ganz Deutschland zu einer wesentlichen Ausformung des Lebenszeitprinzips geworden und damit Teil des effektiven Gewährleistungsbereichs von Art. 33 Abs. 5 GG, den der Gesetzgeber zu beachten hat. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, hat das Lebenszeitprinzip - im Zusammenspiel mit dem die amtsangemessene Besoldung sichernden Alimentationsprinzip - die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten. Erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit bieten die Gewähr dafür, dass das Berufsbeamtentum zur Erfüllung der ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann. Dazu gehört auch und vor allem, dass Beamtinnen und Beamte nicht willkürlich oder nach freiem Ermessen politischer Gremien aus dem Amt entfernt werden können. Die lebenslange Anstellung sichert ihnen persönliche Unabhängigkeit. Dabei soll das Bewusstsein einer gesicherten Rechtsstellung ihre Bereitschaft zu einer an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung fördern und sie zu unparteiischem Dienst für die Gesamtheit befähigen. Die mit dem Lebenszeitprinzip angestrebte Unabhängigkeit der Amtsführung ist dabei nicht etwa ein persönliches Privileg der Beamtinnen und Beamten, das ihrer Disposition unterliegen könnte; sie soll vielmehr dem Gemeinwohl dienen. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist, kann realistischerweise erwartet werden, dass Beamtinnen und Beamte auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharren, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte. Dem dient nicht zuletzt der hier in Rede stehende präventive Richtervorbehalt, bei dem es um nichts anderes geht als um die Gewährleistung der Unabhängigkeit von Beamtinnen und Beamten, ihren Schutz vor willkürlicher Entfernung aus dem Dienst und den Erhalt des Bewusstseins einer gesicherten Rechtsstellung. Es handelt sich insoweit um eine wesentliche verfahrensrechtliche Absicherung des Lebenszeitprinzips im Sinne des - auch von der Senatsmehrheit anerkannten (vgl. Rn. 68 des Beschlusses) - Grundrechtsschutzes durch Verfahren.

Vor diesem Hintergrund gehörte der präventive Richtervorbehalt bei der Entfernung aus dem Dienst zum Zeitpunkt der Neuregelung in Baden-Württemberg zum effektiven Gewährleistungsbereich der institutionellen Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG, die der Gesetzgeber zu beachten hatte (vgl. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 33 Rn. 65 <1966>; Zängl, Verwaltungsakt statt Disziplinarurteil, in: FS Fürst, 2002, S. 447 <458 ff.>; vgl. auch Claussen/Benneke/Schwandt, Das Disziplinarverfahren, 6. Aufl. 2010, Rn. 16; Baßlsperger, Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums, 2016, S. 50 f.; Franke, in: GKÖD, Bd. 1, L § 4 Rn. 54 <Lfg. 14/17>). Das war dem Landesgesetzgeber auch bewusst, denn er hatte bei der Neuordnung des Landesdisziplinarrechts die in der Literatur formulierten verfassungsrechtlichen Einwände deutlich im Blick (vgl. LTDrucks 14/2996, S. 108 ff.; vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken auch BVerwGE 155, 6 <10 ff. Rn. 14 ff.>).

  1. Diese konkrete Ausgestaltung von Art. 33 Abs. 5 GG genoss beziehungsweise genießt indes nur einen relativen Normbestandsschutz und ist für eine behutsame Weiterentwicklung durch den Gesetzgeber offen, wenn sich dieser auf sachliche Gründe stützen kann und den effektiven Gewährleistungsbereich der institutionellen Garantie nicht unverhältnismäßig beschränkt. Es ist dem Dienstherrn daher möglich, das bisherige Verfahren durch ein anderes Verfahren zu ersetzen, wenn dieses dem Lebenszeitprinzip hinreichend Rechnung trägt und die mit einer Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt verbundenen Risiken vermeidet. Zu dieser Weiterentwicklung sind Bund und Länder gleichermaßen berufen, mit der Folge, dass der effektive Gewährleistungsgehalt von Art. 33 Abs. 5 GG - wie auch bei der institutionellen Garantie von Art. 28 Abs. 2 GG - von Dienstherr zu Dienstherr beziehungsweise von Land zu Land variieren kann (vgl. Jachmann-Michel/ Kaiser, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 33 Rn. 54; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 33 Rn. 77 <August 2019>).

Bei der Entfernung aus dem Dienst handelt es sich um den denkbar schwersten Eingriff der Disziplinargewalt gegenüber aktiven Beamtinnen und Beamten. Sie betrifft den Bestand des Dienstverhältnisses, dessen grundsätzliche Unentziehbarkeit das Bundesverfassungsgericht als eine der wichtigsten von Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Regeln des Beamtenrechts erachtet (vgl. BVerfGE 8, 332 <352 f.>), und einen Kernbestandteil des Lebenszeitprinzips.

Soll dieser Eingriff verhältnismäßig sein, so bedarf es besonderer, seine Intensität vermindernder verfahrensrechtlicher Vorkehrungen (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 65, 1 <44 ff.>; 69, 315 <355>; 141, 220 <275 ff. Rn. 117 f., 126 ff., 134 ff.>; 143, 1 <19 Rn. 57>; 150, 1 <107 Rn. 221>). Jedenfalls bedarf es - gewissermaßen als Korrelat der Verpflichtung der Beamtinnen und Beamten zur lebenslangen "vollen Hingabe" (vgl. BVerfGE 119, 247 <264>) - wirksamer verfahrensrechtlicher Vorkehrungen, damit diese den mit der gesetzlich eröffneten Verfügungsbefugnis des Dienstherrn über ihren Status verbundenen Risiken nicht schutzlos ausgeliefert werden. Denkbar wäre insoweit etwa die Einrichtung eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit prozeduralen Sicherungen wie der Beteiligung der übergeordneten Disziplinarbehörde, eines unabhängigen Disziplinarführers oder -anklägers, eines Verwaltungsausschusses, ein kontradiktorisches Verfahren mit besonderen Rechtsbeiständen oder die Schaffung neuer Haftungstatbestände. Entscheidend ist, dass - wie die Senatsmehrheit betont - Beamtinnen und Beamte vor willkürlicher Entlassung und ihren Vor- und Nachwirkungen effektiv geschützt bleiben (vgl. Rn. 62 des Beschlusses).

III.

  • 38 Abs. 1 LDG BW wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums dar und verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG. Daran ändert die ohnehin durch Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebene Eröffnung gerichtlichen Rechtsschutzes im Nachhinein nichts.
  1. Eine Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt birgt verglichen mit dem Status quo ante empfindliche Nachteile und Risiken für die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten - eine Verlagerung des Prozessrisikos, wirtschaftliche und soziale Unsicherheit, eine Stigmatisierung, die Verschärfung der fehlenden Parität zwischen den Parteien oder einen geringeren Schutz bei Manipulation -, die die verfassungsrechtlich gebotenen Wirkungen des Lebenszeitprinzips beeinträchtigen können. Die ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts erscheint daher als unverhältnismäßiger Eingriff in den relativen Normbestandsschutz von Art. 33 Abs. 5 GG, der entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit (vgl. Rn. 63 ff. des Beschlusses) durch die Möglichkeit einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung allein nicht verhindert wird.
  2. a) Das Vertrauen der Senatsmehrheit, dass eine Beschränkung der Vorkehrungen auf eine nachträgliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle keine empfindliche Schwächung der persönlichen Unabhängigkeit des Beamten befürchten lässt (vgl. Rn. 70 des Beschlusses), vermag ich nicht zu teilen. Jedenfalls fördert es die Bereitschaft der Beamtinnen und Beamten nicht, ihren Remonstrationsobliegenheiten gegenüber dem Dienstvorgesetzten auch tatsächlich nachzukommen, wenn sie sich bewusst sind, dass dieser Dienstvorgesetzte auch die Entscheidung über ihre Entfernung aus dem Dienst treffen kann.
  3. b) Soweit die Senatsmehrheit darauf verweist, etwaige sachfremde Faktoren könnten sich wegen der nachgelagerten gerichtlichen Kontrollmöglichkeit strukturell nicht in der Entscheidung auswirken (vgl. Rn. 71 des Beschlusses), übersieht dies die mit einer - auch später korrigierten - Entfernung aus dem Dienst verbundene Stigmatisierung und die in der Schwebezeit eintretenden Nachteile bei Verwendungsentscheidungen, dienstlichen Beurteilungen und Beförderungen.

Selbst wenn Beamtinnen und Beamte gegen eine Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO erheben und zuvor um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen können, ist damit doch eine gravierende Verschlechterung ihrer früheren Position verbunden. Dass die Anfechtungsklage gemäß § 23 Abs. 5 LDG BW keine aufschiebende Wirkung hat und die Berufung - im Gegensatz zum Bundesrecht (vgl. § 64 Abs. 1 BDG) - zulassungsabhängig ist, wirkt sich dabei ebenfalls negativ aus. Zudem muss der Dienstherr nicht mehr durch Vorlage einer Anschuldigungsschrift eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen; nunmehr müssen Beamtinnen und Beamte selbst die Initiative ergreifen und können sich nicht mehr nur auf die Verteidigung ihrer Rechte beschränken. Die Neuregelung drängt sie insoweit - anders als früher - in die Antragsteller- beziehungsweise Klägerrolle und belastet sie mit dem Prozessrisiko und den damit verbundenen Unwägbarkeiten und Nachteilen.

Zu diesen gehört auch die von der Senatsmehrheit für gering erachtete vorschussbezogene Kostenbelastung (vgl. Rn. 86 des Beschlusses). Es verschlechtert die Rechtsstellung der Beamtinnen und Beamten und wird ihre Haltung bei Konfrontationen mit dem Dienstvorgesetzten nicht unberührt lassen, wenn sie im Klageverfahren die Gerichtsgebühren schon mit Eingang der Klageschrift bei Gericht zahlen müssen. Die Prozesskostenhilfe mag hier das mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG Notwendige gewährleisten; die Nachteile für die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gleicht sie jedoch keineswegs aus.

Nach der baden-württembergischen Regelung reicht der Rechtsschutz für Beamte auf Lebenszeit, die wegen des Vorwurfs eines schweren Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden sollen, damit im Ergebnis nicht wesentlich weiter als für Arbeitnehmer, die Kündigungsschutz genießen (vgl. Zängl, Verwaltungsakt statt Disziplinarurteil, in: FS Fürst, 2002, S. 447 <461>). Das erscheint mit Blick auf das Lebenszeitprinzip unangemessen.

  1. c) Soweit § 38 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LDG BW ein Zustimmungserfordernis der höheren Disziplinarbehörde statuiert, wäre dieses zwar möglicherweise theoretisch, nicht aber in der konkreten Situation des baden-württembergischen Disziplinarrechts ein funktional äquivalentes Sicherungsinstrument zum Schutz der Beamtinnen und Beamten. Die Beteiligung der höheren Disziplinarbehörde kann zur Verminderung der Eingriffsintensität in den effektiven Gewährleistungsbereich von Art. 33 Abs. 5 GG beitragen und eine Vorkehrung insbesondere gegen die fehlende Parität zwischen Beamten und Dienstherrn sowie allfällige Missbrauchsmöglichkeiten sein (vgl. LTDrucks 14/2996, S. 116 f.). Die Regelung in § 38 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LDG BW erweist sich im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Anspruch an die exekutive Selbstkontrolle allerdings als unzureichend. Dies zeigt etwa ein vom Bundesverwaltungsgericht entschiedener Fall, in dem das Regierungspräsidium als Dienstvorgesetzter und Ernennungsbehörde zugleich als untere (vgl. § 4 Satz 1 Nr. 3 LDG BW) und höhere Disziplinarbehörde (vgl. § 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a LDG BW) fungierte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 -, Rn. 17 f.). Wenn der Zustimmungsvorbehalt des § 38 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LDG BW bei Identität von unterer und höherer Disziplinarbehörde aber keinerlei Konsequenz hat, ist er auch nicht in der Lage, die ihm zugedachte Funktion zur Sicherung des Lebenszeitprinzips zu erfüllen. So liegen die Dinge hier. Denn bei einem großen Teil der Beamtinnen und Beamten in Baden-Württemberg - insbesondere in den Bereichen Schule und Polizei - ist der Dienstvorgesetzte in der Tat zugleich untere wie auch höhere Disziplinarbehörde (vgl. auch Weiß, in: Fürst, GKÖD, Bd. 2, M § 33 Rn. 115d <Lfg. 6/15>).
  2. d) Im Ergebnis hat § 38 Abs. 1 LDG BW damit eine Verlagerung des Prozess-risikos auf Beamtinnen und Beamte bewirkt, ihnen für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage wirtschaftliche und soziale Unsicherheiten und Nachteile auferlegt, sie dem Risiko einer Stigmatisierung ausgesetzt, das auch nach einer erfolgreichen Klage fortwirken kann, und kaum funktionstüchtige Vorkehrungen getroffen, um der fehlenden Parität zwischen Beamtinnen und Beamten auf der einen und den Dienstvorgesetzten auf der anderen Seite sowie allfälligen Manipulationsgefahren zu begegnen. Er stellt damit einen unverhältnismäßigen Eingriff in die institutionelle Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG dar.
  3. Der Landesgesetzgeber war sich des Systembruchs durch die Abschaffung des präventiven Richtervorbehalts bewusst, wie die sehr ausführliche Begründung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts zeigt (vgl. dazu auch Weiß, in: Fürst, GKÖD, Bd. 2, M § 33 Rn. 115b <Lfg. 6/15>). Er hat mit § 38 Abs. 1 LDG BW gleichwohl eine Rechtslage geschaffen, die den sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Die Vorschrift ist meines Erachtens daher nichtig, die Verfassungsbeschwerde insoweit begründet.

(BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 2055/16 –, BVerfGE 152, 345-401, Rn. Randnummer1 - Randnummer37, )

 

Die Hervorhebungen wurden nachträglich durch Rechtsanwalt Wahl vorgenommen.

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